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02-2024 Flüchtlingsrat gegen Rückführungsverbesserungsgesetz
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein:
Deportationsfantasien faschistischer Kreise und unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe
Am 18. Januar 2024 haben sich die Abgeordneten des Bundestags in einer aktuellen Stunde – wenn man von den Parlamentarier*innen der vom Verfassungsschutz wegen rechtsextremistischer Umtriebe beobachteten AfD absieht – unisono gegen rechte Entwicklungen und rassistische Auswüchse in Politik und Gesellschaft ausgesprochen.
Anlass waren die vom Recherchekollektiv Correctiv unlängst aufgedeckte Zusammenrottungen von Rechtsextremisten aller Coleur – darunter AfDler, aber auch Mitglieder der CDU-nahen sogenannten Werteunion – in einem Potsdammer Hotel. Die hatten sich dort zur Beratung über einen Plan getroffen, der zum Ziel hat, nach einer Machtübernahme die „Remigration“, d.h. die systematische Deportation aller Nichtdeutschen sowie deutschen Staatsangehörigen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland, zu vollstrecken.
Seit dem Bekanntwerden gehen gegen diese menschenverachtenden Vorhaben und ihre nicht allein in der AfD organisierten faschistischen Protagonist*innen bundesweit regelmäßig Zigtausende auf die Straße. Jetzt haben also auch die Abgeordneten im Bundestag ihre Stimmen erhoben gegen die nicht erst in Potsdamm öffentlich gewordenen „demokratiefeindlichen Tendenzen“.
CDU-MdB Philipp Amthor – ansonsten eher als Anhänger teutonischer Leitkulturideen auffällig - wetterte, „wer von einem Menschenbild von Staatsbürgern erster und zweiter Klasse ausgehe, beweise eine erhebliche Geschichtsvergessenheit und, auf Kriegsfuß mit der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung zu stehen“. SPD-Chef Lars Klingbeil echauffierte sich gegen diese unverholene gegen „unsere Kolleg*innen auf der Arbeit, unsere Vereinskamerad*innen und unsere Nachbarn“ gerichtete Bedrohung und gegen die Versuche der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, „die Deportationspläne ihrer Partei herunterzuspielen“. FDP Bundesvorstandsmitglied Konstantin Kuhle versicherte: „Wir lassen uns die politische Agenda nicht von Rechtsextremisten bestimmen“. Die grüne Abgeordnete Gerda Hasselmann beteuerte, Geflüchteten Schutz gegen die Feinde des Rechtsstaats garantieren zu wollen.
Was die so Gemeinten allerdings im politischen Alltag von solchen Versprechungen zu erwarten haben, offenbarte sich umgehend, als der Bundestag nach der aktuellen Stunde zur Tagesordnung überging. Auf der Stand die Absegnung des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“, eines rechtspolitischen Machwerks, das v.a. im Asylverfahren nicht erfolgreiche Schutzsuchende ultimativ ins Fadenkreuz eines restriktiven Abschiebungsregimes stellt. Unter anderem mit Dauerkasernierung für Erwachsene und Kinder ohne Bleibeperspektive, mit einer Eskalation der Dauer des Abschiebungsgewahrsams und der Abschiebungshaft, mit jederzeit – auch nachts – möglichen Razzien in Wohnräumen geflüchteter Familien in Lagern – aber auch mit Strategien zur Kriminalisierung der zivilen uneigennützigen Seenotrettung Geflüchteter.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein stimmt mit PRO ASYL in der Kritik überein, dass die mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ einhergehenden rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen bei der sozialen Ausgrenzung und Abschiebungen Geflüchteter schwerwiegende Eingriffe in ihre Grundrechte sind, denen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.
Aber schlimmer geht immer! Abgesehen von einzelnen grünen Abgeordneten stimmte auch die CDU gegen das Gesetz. Letztere aber wohl nur deshalb, weil es ihr nicht restriktiv genug ist. In ihrem aktuell bekannt gewordenen Entwurf eines Grundsatzprogramms lässt die Partei die flüchtlings- und grundrechtsfeindliche Katze aus dem Sack: „Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.“
Einmal mehr liefert die Politik also gute Gründe, auf die Straße zu gehen: sowohl gegen menschenverachtende Deportationspläne einer faschistischen Clique um die AfD und ihre Konsorten, als auch gegen eine unehrliche bürgerliche politische Klasse, die im Bundestag Betroffenheit heuchelt und in ihren Hinterzimmern das rechtspolitische Rüstzeug für eine im Kern verfassungsfeindliche und rassistische Politik auflegt.
(Presseerklärung Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Kiel, 19.1.2024)
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12-2023 Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein:
Bund und Länder legen die Lunte an das Pulverfass einer sozial gespaltenen Gesellschaft
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kritisiert den MPK-Beschluss vom 6.11.2023 zur Flüchtlingspolitik
Im Vorfeld der Ministerpräsident*innen-Konferenz (MPK) vom 6. November hat sich eine weniger von Sorge um, als von Hetze gegen hierzulande Schutzsuchende politische Diskussion zugespitzt. Dieser Paradigmenwechsel von einer „Willkommenskultur“ zu einer „Ausgrenzungsunkultur“ schlägt sich auch in der verwendeten Sprache nieder, wenn wider besseres rechtliches Wissen nur noch von „irregulärer Migration“ die Rede ist. Flüchtlinge sind keine „irregulären Migrant*innen“! Sie nehmen ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht in Anspruch, das im Rahmen regulärer Asylverfahren geprüft wird.
„Wer gegen Geflüchtete hetzt und den Eindruck erweckt, ihre Vertreibung und Vergrämung sei oberste Staatsräson, macht übermütigen Rassist*innen noch mehr Mut und legt eine Lunte an das Pulverfass einer ohnehin sozial gespaltenen Gesellschaft“, mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Sozialleistungen
Die von Bund und Ländern beschlossene Absenkung der Asylbewerberleistungen ist nicht nur „integrationspolitisch kontraproduktiv und unter Kindeswohlgesichtspunkten bedenklich“, wie die Bundesländer Bremen und Thüringen – leider nicht Schleswig-Holstein – im Beschluss vom 6.11.2023 zu Protokoll gegeben haben. Es ist auch unmenschlich und unvernünftig, Geflüchtete absichtlich über Jahre in Armut und erzwungener Abhängigkeit seitens der öffentlichen Hand zu halten und ihnen erst nach 36 statt wie bisher nach 18 Monaten zumindest Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu zahlen. Der Öffentlichkeit wird mit dem Versprechen, dieser Schritt würde die Zahl der Geflüchteten verringern, dreist belogen. Die Behauptung, Sozialleistungen würden einen vermeintlichen Pull-Effekt erzeugen, ist nie bewiesen worden und längst widerlegt.
Leistungseinschränkungen und Sachleistungen für einen Zeitraum von 36 Monaten gab es bis zur Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 schon einmal. Das Bundesverfassungsgericht ist jetzt einmal mehr aufgefordert, die am Montag beschlossenen Kürzungen als verfassungswidrig zu markieren. Ohnehin zeugt die Strategie der Länder am 6. November von einer grundrechtsfeindlichen und empathielosen Haltung und frappierender Unkenntnis der Lebensrealität und Motivlage flüchtender und geflüchteter Menschen. Schutzsuchende Menschen werden sich nicht von der Flucht aus ihren Höllen abhalten lassen, weil sie 36 statt 18 Monate eingeschränkte Leistungen erhalten. Aber der Beschluss, sollte er so umgesetzt werden, wird nicht zuletzt mit Blick auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine die Ungleichbehandlung vergrößern und die soziale Ausgrenzung von Schutzsuchenden aus dem globalen Süden vertiefen.
„Mit dem so verordneten sozialen Prekariat für Asylsuchende als Instrument zur Verhinderung von Fluchtzuwanderung geben Bund und Länder den Wahler*innen – die offenbar ihre Hauptzielgruppe sind – wissentlich ein uneinlösbares Versprechen. Das wird sich bei den anstehenden Wahlen rächen“, ist Martin Link überzeugt.
Zudem wird ihnen im Asylbewerberleistungsgesetz eine angemessene Gesundheitsversorgung verwehrt, die gerade für Asylsuchende, die oft traumatische Gewalt im Herkunftsland oder auf der Flucht erleiden mussten, von erheblicher Bedeutung sind.
Darüber hinaus schließt die Beschlusslage vom Montag asylsuchende Menschen von Maßnahmen zur Vorbereitung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt aus und behindert ihre Vermittlung in Arbeits- und Ausbildungsstellen.Mit dem Kürzungsbeschluss ignorieren die Ministerpräsident*innen von Bund und Ländern auch die Expertise und einmütige Einschätzung von Fachorganisationen. So hatten 150 Migrations- und Sozialfachdienste sich Anfang November gemeinsam gegen Kürzungen am Existenzminimum ausgesprochen und stattdessen für die sozialrechtliche Gleichstellung Geflüchteter geworben.
Familiennachzug
Für Empörung sorgt beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein auch der beabsichtigte Verzicht auf eine – im Koalitionsvertrag der Ampel fest vereinbarte – Wiederherstellung des Rechts auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK). Es ist verstörend und zeugt von menschlicher Kälte, wenn sich dem Sozialstaat und der grundrechtlich geschützten Familien verpflichtete Politiker*innen und Parteien, die ansonsten keine Gelegenheit auslassen, vollmundig die Bedeutung der Familie für den emotionalen, sozialen und wirtschaftlichen Schutz und ein gedeihliches Zusammenleben zu betonen, den vor oder während der Flucht unfreiwillig getrennten Familien über Jahre oder nun auf Dauer eine Trennung von ihrem Liebsten zumuten.
Exterritoriale Asylverfahren
Doch die grundrechtsfeindliche Schäbigkeit wurde von der MPK endgültig von der Kette gelassen, als auf Betreiben von CDU- und Grün-regierten Ländern ein Prüfauftrag für eine Externalisierung von Asylverfahren in Transitländer beschlossen wurde. Hier wird erschreckend deutlich, wie weit die asylpolitische Diskursverschiebung mittlerweile gediehen ist. Zwar haben die SPD-regierten Länder darauf gedrungen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention dabei zu achten wären, haben aber damit auch keine deutliche rote Linie gezogen.
Der Organisation PRO ASYL ist zuzustimmen bei ihrer Kritik: Wenn die Bundesregierung diesen Beschlüssen folgt, dann steigt sie ein in die rechtspopulistische Geisterfahrt der britischen, dänischen und neuerdings auch italienischen Regierungen – und wird spätestens vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf den Boden der Tatsachen zurück geholt werden. Den Kommunen hat diese Geld-, Zeit- und Energievergeudung dann jedenfalls nicht geholfen.
Der von den Ministerpräsident*innen gleichzeitig geforderte Fortsetzung und Umsetzung des Flüchtlingsdeals mit der autokratisch regierten Türkei, die weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat, verdeutlicht jedoch, dass „achten“ offenkundig nicht „einhalten“ bedeutet.gez. Martin Link, Tel. 0431-5568 5640
public[at]frsh.deHintergrund zu verringerten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz:
Bei der Erfindung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor genau 30 Jahren hielten Bundesregierung und Parlament eine Kürzung des sozialrechtlichen Existenzminimums für zwölf Monate vertretbar, darüber hinaus aber für unzumutbar. Es könne dann mangels „noch nicht absehbarer weiterer [Aufenthalts-]Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden [...]. Insbesondere sind nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet sind.“ (Bundestagsdrucksache 12/5008 vom 24.5.1993). Derlei Überlegungen hielten die Regierungen seither allerdings nicht davon ab, die gekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beständig zu verlängern.
Nach dem Bundesverfassungsgericht (s.o.) hat jeder Mensch das Recht auf ein menschenwürdiges physisches, aber auch soziokulturelles Existenzminimum, das die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll. Ob die gegenüber dem sozialrechtlichen Existenzminimum gekürzten Grundleistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes überhaupt mit dem Verfassungsrecht vereinbar sind, ist fraglich. Nachdem das Verfassungsgericht konkrete Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes bereits mehrfach nach oben korrigierte und Kürzungen widersprach, ist aktuell ein weiteres Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. -
01-2023 Organisationen fordern Aufnahme für Deserteure
Organisationen fordern Aufnahme für Deserteure des Ukraine-Krieges, wirksame Abschiebungsstopps und Bleiberechtsregelung
Anlässlich der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (30.11. - 2.12.2022 in München) forderten in Schleswig-Holstein und bundesweit engagierte Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik und nachhaltige Maßnahmen gegen flüchtlingsfeindliche Gewalt.
Nach der Mobilmachung in der Russischen Föderation und in Belarus scheitert die Flucht von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren regelmäßig an der vom Bund Anfang September verfügten Aussetzung der Visaerleichterungen für russische und belarussische Staatsangehörige. In ihren Heimatländern drohen russischen, belarussischen und ukrainischen Militärdienstverweigerern und Deserteuren Verfolgung und Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Russischen, belarussischen und ukrainischen Kriegsdienstverweigerern muss die Möglichkeit zum Zugang in ein chancenwahrendes Asylverfahren und regelmäßig Abschiebungsschutz gewährt werden. Aktuell verweigern einige Bundesländer die Aufnahme weiterer Schutzsuchender des Krieges. Gleichzeitig herrscht eine der Idee des Gleichbehandlungsgrundsatzes widersprechende aufenthaltsrechtliche Ungleichbehandlung von Staatsbürger*innen und Drittstaatler*innen aus der Ukraine. Das wird nur noch übertroffen durch die asyl-, aufenthalts- und sozialrechtliche Diskriminierung, die für Geflüchtete aus außereuropäischen Kriegen und Verfolgerstaaten Alltag ist.
• Wir fordern, Grundlagen dafür zu schaffen, dass alle Geflüchteten rechtlich gleichbehandelt und unterstützt werden – unabhängig davon, wann und woher diese zu uns geflüchtet sind. Dies soll sowohl den Zugang zu Arbeit und Ausbildung wie auch zu staatlichen Transferleistungen, Unterkunft, Betreuung sowie den Familiennachzug betreffen.
Die mit dem geplanten Bürgergeld einhergehende Verbesserung für die Leistungsbezieher*innen gehen vollständig an den Geflüchteten vorbei und verstärken deren angesichts der Preisentwicklung ohnehin eskalierendes Prekariat.